Walter Schelenz

Neubeginn in Freiburg
Heiner Gierich

Walter Schelenz, ein in den Nachkriegsjahren in Berlin bekannter, in Freiburg noch unbekannter Bildhauer, brachte seine Familie, nachdem sie in Berlin ausgebombt war, im Schwarzwald in Sicherheit und fand schließlich 1955 in Freiburg seine neue Heimat. Im damaligen Kunstverein, in der Talstraße, fand sich ein Atelier, das ihm die Möglichkeit einer neuen Existenz bot. Man schrieb das Jahr 1956; es war die Zeit des Wiederaufbaues zerstörter Städte. Freie, städtische und staatliche Architekten hatten alle Hände voll zu tun, um neues Leben aus den Ruinen erblühen zu lassen. Schelenz, 53 Jahre alt und voller Tatendrang, begann sich von seinen bisher fast ausschließlich figürlichen Arbeiten, die zum größten Teil in Berlin zerstört worden waren, mehr und mehr zu lösen und sich auch abstrakten Arbeiten zuzuwenden. Als junger Architekt im damaligen „Badischen Bezirksbauamt" erhielt ich den Auftrag, ein Bürogebäude für die Oberfinanzdirektion Freiburg zu planen und zu bauen. Das Raumprogramm war auf dem vorhandenen Grundstück am Rennweg nur in einem Hochhaus unterzubringen. Ein Hochhaus in Freiburg! Schon der Gedanke erregte die Gemüter der Bürger. Es gab noch kein Hochhaus im Stadtgebiet, ausgenommen den Münsterturm. Das erste echte Hochhaus der Forstdirektion in der Bertholdstraße war nach langen Genehmigungsdebatten gerade im Bau. Schon während der Planungsphase war mir bewusst, dass bei der Dimension einer solchen Hochhausfassade die Gefahr einer langweiligen „Rasteritis" drohe. Durch einen Kollegen, der mit einer Tochter von Walter Schelenz befreundet war, wurde ich mit der Bildhauerfamilie bekannt. So schien es mir naheliegend, den Rat eines Künstlers einzuholen, und ich ging — ohne Auftrag und Wissen meines Chefs und anderer Vorgesetzter — in das Atelier in der Talstraße, eine Zeichnung der geplanten Fassade unter dem Arm, und bat Schelenz zu überlegen, ob man durch eine geeignete Gestaltung der Fensterbrüstung etwas gegen die befürchtete „Rasteritis" tun könne. Er war sofort von dem Gedanken begeistert, obwohl ich ihm beschwörend klar zu machen versuchte, dass niemand von meinem Besuch wisse und ich keine Vollmacht habe, einen Auftrag zu erteilen.


vor dem Modell der Oberfinanzdirektion
1956
Ungeachtet dessen fand ich zwei Wochen später bei einem Atelierbesuch ein riesiges Modell (aus Holz) der geplanten Hochhausfassade im Maßstab 1/20 vor, an dem der Künstler seine Ideen entwickelt hatte und mir vorstellte.
Er schlug rot eingefärbte Reliefplatten vor, die durch die rote Farbe eine Fernwirkung und durch die Modellierung eines starken Reliefs eine ausgesprochene Nahwirkung haben sollten. Nun war es Zeit, den Chef des Bauamtes, den damaligen Oberbaurat Heine, in den „Komplott" einzuweihen. Also überredete ich ihn, mit mir ins Atelier zu fahren und sich das Modell anzusehen. Eine Kunstkommission gab es damals noch nicht, so dass von seinem Urteil Erfolg oder Misserfolg des Kunstobjektes abhing. Missmutig fuhr er zu einem kurzen Besuch mit und ließ sich am Modell die Vorstellungen von Schelenz erläutern. Er sagte kein Wort, gab keinerlei Meinungsäußerungen von sich und ließ einen völlig verunsicherten Künstler zurück. Auch ich war sehr enttäuscht über den kommentarlosen Besuch. Erst auf der Rückfahrt kam im Auto die erlösende Äußerung: „So schlecht ist der Vorschlag von Schelenz eigentlich nicht, machen Sie weiter mit ihm".
Das war die Geburtsstunde des ersten offiziellen Staatsauftrages an Walter Schelenz zur Kunst im öffentlichen Raum in Freiburg, dem zahlreiche weitere folgten. An dieser Arbeit und vielen folgenden wird Schelenz ausgeprägtes Verhältnis zur Architektur besonders deutlich. Mit seinen künstlerischen Beiträgen an öffentlichen Bauten hat er immer um den gemäßen Maßstab gerungen, sich der Architektur untergeordnet und selbstverständlich eingefügt.


Oberfinanzdirektion Freiburg,Reliefplatte
1956
Erinnerung an zwei Projekte im öffentlichen Raum
Klaus Humpert

Als Leiter des Stadtplanungsamtes war ich der städtische Partner von Walter Schelenz bei zwei sehr unterschiedlichen Bildhauerarbeiten.
Das erste Projekt war die Schaffung eines Denkmals zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus in Freiburg. Über Jahre hatte der Verband für die Verfolgten des Naziregimes (VVN) bei der Stadt Freiburg den Antrag auf die Errichtung eines Denkmals gestellt. Der Verband suchte dringend einen würdigen Ort, an dem er seine jährliche Gedenkfeier mit einer Kranzniederlegung abhalten könnte. Die Stadt hatte auch immer wieder Zusagen gemacht, eine Gedenkstätte zu errichten; da aber der Verein seine kommunistische Herkunft nicht verleug-nete, wurde wenig Engagement zur Einlösung des Versprechens gezeigt. Das ständige Inter-venieren der Antragsteller führte dann im Herbst 1974 zur Anweisung der Stadtspitze an das Planungsamt, sich der Sache anzunehmen. Die Aufgabe lag also auf meinem Tisch. Man dachte an einen Findling mit Inschrift. Da kein Haushaltbetrag eingestellt war, sollte das ganze Projekt mit minimalen Mitteln verwirklicht werden. Als Finanzierung bot sich ein nicht verbrauchter Restposten aus dem städtischen Winterdienst an. Es war nicht so viel Streusalz wie angenommen verbraucht worden. Der milde Winter gab der Stadt die Möglichkeit, endlich die Versprechungen einzulösen. Ich meine, es waren DM 30 000. Jedenfalls war bei dieser geringen zur Verfügung stehenden Summe nicht an einen Wettbewerb zu denken.
In meiner Arbeit im Kunstverein Freiburg war ich seit Jahren in vielfältigem Kontakt mit Walter Schelenz, und es bot sich an, mit ihm als erfahrenem Bildhauer das Problem zu besprechen und ihn um Mitarbeit zu bitten. Was kann man mit dem wenigen Geld leisten? Die Denkmalidee war Walter Schelenz zunächst fremd. Er gehörte zu der Generation, die den Missbrauch mit Denkmälern in guter Erinnerung hatte. Da er aber als Künstler, welcher der Moderne verpflichtet war, persönlich in vielfältiger Weise unter dem Faschismus gelitten hatte, machte er sich die gestellte Aufgabe zu eigen. Es zeigte sich seine unprätentiöse Art. Walter Schelenz machte einen Vorschlag trotz des völlig unzureichenden finanziellen Hintergrunds. Es war klar, dass, trotz der geringen Mittel, nur durch künstlerische Qualität die Aufgabe gelöst werden konnte. Eine solche Erinnerungsstätte wird nur einmal in der Stadt erstellt und muss der historischen Dimension gerecht werden. Walter Schelenz legte sehr schnell einen Entwurf für ein kleines Denkmal vor. Für den Aufstellungsort wurden verschiedene Standorte entlang des Ringes untersucht und mit Fotomontagen des Planungsamtes geprüft. Der dann gefundene Ort am Ausgangspunkt der Gasse zwischen C&A und dem Schwarzen Kloster über dem mittelalterlichen Mauerring der Kernstadt überzeugte alle Beteiligten. Die Bronzeskulptur — so wenig monumental sie war — stellte sich hier den Passanten gleichsam in den Weg. Die Antragsteller des VVN, der Bauausschuss, Oberbürgermeister Keidel und Kulturbürgermeister Dr. Graf waren mit der Lösung sehr zufrieden.


Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus
1975
Noch nicht geklärt war die Finanzierung. Nach der Einholung von Angeboten konnte man mit dem zur Verfügung stehenden Geld nur den Guss bezahlen. Das Angebot der Glockengießerei Koch aus Freiburg betrug DM 27583,50. Heutige Haushaltsexperten würde das kalte Grausen erfassen bei der Vorstellung, dass hier immer noch projektiert wurde ohne finanzielle Sicherung. Die Behörden hatten zu dieser Zeit noch mehr Elastizität und Risikobereitschaft. Walter Schelenz rettete das unterfinanzierte Projekt, indem er der Stadt anbot, die Kosten seines Honorars zu stunden. Das letzte Problem blieb der Stadt: die Entscheidung zum Text im Sockel des Mahnmals. Der etwas klassenkämpferische Text des VVN: „Den Opfern der nazisti-schen Barbarei. Den Kämpfern für Sozialismus und Frieden" wurde in eingehenden Beratungen zu folgendem Text umformuliert: „Den Opfern der Gewalt. Den Kämpfern im Widerstand 1933 — 1945". Am 9. November 1975 konnte das Denkmal durch Herrn Bürgermeister Dr. Graf übergeben werden. Walter Schelenz hielt sein Versprechen, erst am 23. Dezember 1976 stellte er seine Honorar-Rechnung von DM 22 300.

Das zweite Projekt, von dem ich hier berichten will, ist die Entwicklung der Straßenleuchte für die Kaiserstraße. Mancher wird fragen, was kann denn hierzu ein Bildhauer beitragen. Wieder ist es die offene und jedem neuen plastischen Problem zugewandte Haltung von Walter Schelenz, die ihm diese Aufgabe zuwachsen ließ. Nachdem Freiburg die Innenstadt weitgehend als Fußgängerzone verkehrsberuhigt und ausgebaut hatte, wurde als letzter Teil die große Marktstraße (Kaiser-Joseph-Straße) realisiert. Die anliegenden Geschäfte waren inzwischen von der Lösung so überzeugt, dass sie sich an den Kosten des Ausbaus mit beträchtlichen Summen beteiligten. Die Stadt bemühte sich im Gegenzug um eine hohe Qualität der gestalteten Oberfläche der Hauptstraße. Nachdem das große Projekt in weiten Bereichen zur Zufriedenheit aller Beteiligten fortgeschritten war, stellte sich immer dringender die Frage, in welcher Weise das Problem der Straßenbeleuchtung gelöst werden könnte. Es gibt für die Planer fast keine schwierigere Aufgabe als die Auswahl einer Stadtlampe, die allgemeine Zustimmung erfährt. Im Gegensatz zu der Erstellung des Denkmals lässt sich ein solches Projekt nicht an der Bürgerschaft vorbei durchführen. Über Lampen können alle mitreden, und alle Bürger halten sich für kompetent. Eine moderne Lampe hat in einer alten Stadt fast keine Chance auf Akzeptanz von Seiten der breiten Bürgerschaft. Was sollten die Stadtgestalter vorschlagen? Mit der Sitzbank in der Kaiserstaße war ein einfaches Experiment gelungen. Die ortsübliche ältere Form der Stadt-


Straßenleuchte, Kaiser-Joseph-Straße
„Schelenzleuchte"
bank wurde zur allgemeinen Zufriedenheit nochmals neu interpretiert. Mit dem großen gusseisernen Pflanzenkübel von Franz Gutmann konnte gezeigt werden, dass die Bildhauer eigenständige Beiträge für ihre Stadt bieten können. Das verantwortliche Planungsamt versuchte nun, bei der Lampe die gleiche Methode anzuwenden. Inzwischen wurde mit der Aktionsgemeinschaft Handel und Gewerbe „Z Friburg in der Stadt" Kontakt aufgenommen. Von dort kam der Vorschlag, das arbeitsaufwendige Problem der alljährlichen Weihnachtsbeleuchtung neu zu überdenken und in die neue Lampe zu integrieren. Für die Lösung dieses Problems wurde eine wesentliche Unterstützung der Finanzierung in Aussicht gestellt. Das war natürlich eine Herausforderung für die Stadtgestalter des Planungsamtes. Hier entstand die Idee, eine typische Freiburger Lösung zu finden. Die Analyse der historischen Lampen zeigte eine charakteristische Komposition fünf verschiedener Lampensegmente. Sollte es nicht möglich sein, diese einzelnen Elemente mit neuen Formen zu interpretieren? Wer könnte so etwas besser und origineller als ein sensibler Bildhauer?
Walter Schelenz war bereit, einen Versuch zu unternehmen. In seinem Atelier in der Feldbergstraße entstand ein großes Modell. Ich erinnere mich gut an die langen Beratungen mit dem Arbeitskreis unter der Leitung von Herrn Frese, in denen das neue Modell der Leuchte nach allen Richtungen diskutiert und schließlich zum Guss freigegeben wurde. Wie eine riesige exotische Pflanze erhob sich das Modell im Atelier des Künstlers. Es gibt sicher kaum eine Stadt in der Bundesrepublik, die eine Stadtleuchte gleichsam aus eigener künstlerischer Produktion vorzeigen kann. Dass die Leuchte dann noch als plastisches Objekt von einem der profiliertesten Bildhauer der Stadt geschaffen wurde, ist sicher etwas Besonderes. Sie erhielt dann auch sehr schnell den Arbeitstitel „Schelenzleuchte". Dass Walter Schelenz sich nicht zu gut war, ein solches alltägliches Thema als Künstler in Angriff zu nehmen, ehrt ihn ganz besonders. Ich meine, möglichst viele Freiburger sollten wissen, dass die mächtigen aus Alumi-niumguss gefertigten Leuchten in der Kaiser-Joseph-Straße plastische Objekte eines Bildhauers sind, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstagsfeier würde.


Gestaute Welle
1978
Tombak MS 85
250 × 475 × 215 cm
Iffezheim, Staustufe
Meister der biomorphen Figur
Stefan Tolksdorf

Seine biomorphen, meist kleinteiligen skulpturalen Stillleben verdichten auf teils mitunter auch humoristische Weise existenzielle Grunderfahrungen: Drohung, Widerstand, (hohles) Imponiergebaren. In der späten Skulptur „Begegnung“ von 1984 ritzt ein scheibenförmiges Wesen mittels eines Stabes in die Oberfläche eines anderen, prägt sich ihm förmlich gewaltsam ein. Parallel zum plastischen Werk entstand eine große Anzahl von meist eigenständigen Bildhauerzeichnungen, welche sein surreales Formenrepertoire weiter variieren. Nicht zuletzt durch zahlreiche kommunale Aufträge, wie das expressive „Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus“ am Freiburger Rotteckring und seine große „gestaute Welle“ am Rheinkraftwerk Iffezheim, gewann Walter Schelenz überregionale Bedeutung. Sein Skulpturenwerk befindet sich heute im Besitz des Landes Baden-Württemberg, des Freiburger Museums für Neue Kunst und in Familienbesitz.